MeinGastbruder&zweitraditionellgekleideteBaianas

Durch den Zoll, ein letzter Blick zurück, und von da an galt es, nach vorne zu schauen. Mir wurde bewusst, dass ich jetzt völlig auf mich alleine gestellt bin. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete. Mit der Gastfamilie hatte ich vor dem Abflug kaum Kontakt gehabt. Diese Gefühle von Aufregung, Trauer und Ungewissheit können einem ganz schön Angst machen.

Als erste Austauschschülerin kam ich nach Iguaí, und alle fragten sich, warum um alles in der Welt kommt diese Schweizerin ausgerechnet in dieses verlassene Dorf. Meine ersten Eindrücke waren sehr positiv, alles war so aufregend, so verschieden eben. Ich lernte viele Leute kennen, denn jeder wollte sich mit mir unterhalten. Ich hatte gar keine Zeit an zu Hause zu denken.

Schnell stellte ich fest, dass es in der neuen Familie nicht so lief, wie ich es kannte. Meine Gasteltern waren immer wahnsinnig besorgt um mich. Das störte mich sehr und ich fühlte mich eingeschränkt. Im Nachhinein kann ich aber auf jeden Fall behaupten, dass ich ein Teil der Familie geworden bin! Ich lernte Kompromisse einzugehen, denn ich wusste, dass es sonst nicht funktioniert. Ich glaube, es ist enorm wichtig, Interesse und Motivation zu zeigen und bereit zu sein, sich mit gewissen Unterschieden abzufinden. Ich musste ja nicht zwingend alles annehmen, aber ich lernte die Dinge zu akzeptieren.

Die ersten zwei Monate waren für mich sehr speziell und ich hatte das Gefühl, jeden Tag etwas Neues zu entdecken. In meinem Fall war die Integration in die Gesellschaft kein Problem. Ein grosser Vorteil war, dass ich in einem kleinen Dorf lebte und gezwungen war, Portugiesisch zu lernen. Irgendwann geht aber auch dieses Gefühl, dass alles aufregend ist, vorbei. Alles normalisiert sich und der plumpe Alltag tritt ein. Ich geriet in ein Tief. Ich dachte oft an zuhause und daran, was wohl meine Freunde gerade tun. Zum ersten Mal vermisste ich meine Heimat so richtig.

Dann kamen die grossen Ferien, ich fuhr mit meiner AFS-Gotte weg und es war toll! Ich konnte Energie tanken. Zurück in Iguaí war ich viel selbstständiger und inzwischen nicht mehr nur „a Suíça“. Lange genug war ich die Aussenseiterin gewesen. Endlich fühlte ich mich wie zuhause. Alle gaben mir das Gefühl, eine von ihnen zu sein!

Die Zeit verging viel zu schnell. Ein spezielles Gefühl, Weihnachten und Neujahr im Hochsommer zu feiern und ein unglaubliches Erlebnis, Silvester am Meer zu verbringen. Und dann kam der Moment, an dem ich loslassen musste. Es brach für mich eine Welt zusammen. Ein Traum schien plötzlich zu Ende zu gehen, und es war, als ob ich langsam erwachte und in die Realität zurückgeholt wurde. Eigentlich wollte ich nicht nach Hause gehen, ich war nervös, freute mich aber auch wahnsinnig, endlich meine Familie und Freunde wieder zu sehen.

Die Rückkehr war schwieriger, als ich gedacht hatte. Ich hatte das Gefühl, ich war fehl am Platz und wusste gar nicht, ob ich nach Hause gekommen oder von zu Hause weggegangen war. Egal, wo ich bin, irgendetwas fehlt immer: Jetzt sind es die Freunde und Familie aus Brasilien, und dort waren es meine Freunde und Familie aus der Schweiz.

Aber ich weiss, dass ich bei meiner Gastfamilie, meinen Freunden, in meiner Schule und in ganz Iguaí Spuren hinterlassen habe. Meine Gastfamilie konnte ihren Horizont erweitern und lernte viel über meine Kultur, während ich im Umgang mit Menschen sehr profitiert habe. Sie alle haben in mir etwas bewirkt. Ich bin viel geduldiger und offener geworden und weiss zu schätzen, was ich alles habe. Dieses Jahr werde ich mit Sicherheit niemals vergessen, denn mir ist klar, es war einzigartig!