Das AFS-Austauschprogramm hat seit Jahrzehnten unzählige junge Menschen auf der ganzen Welt geprägt und ihnen die Möglichkeit gegeben, wertvolle interkulturelle Erfahrungen zu sammeln. Zwei beeindruckende Persönlichkeiten, die beide mit AFS als Austauschschüler*innen in die Schweiz gereist sind, jedoch in unterschiedlichen Jahrzehnten im Austausch waren, sind Dawson Grubbs und Astrid Buys:
Dawson Grubbs, ein ehemaliger AFS-Austauschschüler aus den USA, kam 1977 in die Schweiz. Heute lebt er in Zürich, wo er seit über 25 Jahren eine erfolgreiche Karriere im Versicherungswesen verfolgt. Darüber hinaus engagiert er sich aktiv im American International Club of Zurich (AICZ) und bleibt AFS durch ehrenamtliches Engagement verbunden.
Astrid Buys, ursprünglich aus Neuseeland, nahm 2007 an einem AFS-Austausch teil. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Basel und arbeitet in der Pharmaindustrie. Neben ihrem beruflichen Erfolg bringt sie ihre Leidenschaft für Bildung und interkulturellen Austausch als Vorstandsmitglied von AFS Schweiz und stellvertretende Präsidentin einer internationalen Schule ein.
Trotz der unterschiedlichen Zeiten und Lebenswege, die Dawson und Astrid geprägt haben, verbindet sie ihre gemeinsame Erfahrung als AFS-Austauschschüler*innen in der Schweiz. Ihre Antworten auf dieselben Fragen zeigen, wie vielfältig und doch zeitlos die Auswirkungen interkultureller Begegnungen sein können.
Beide haben dieselben Fragen beantwortet – hier teilen sie ihre Erinnerungen und Erfahrungen:
Astrid Buys
Was hat dich dazu bewogen, damals an einem Austauschprogramm teilzunehmen?
In der Schule hörte ich zum ersten Mal von Austauschprogrammen, und die Idee begeisterte mich. Ich lernte damals Französisch und Deutsch. Die Schweiz interessierte mich, da sie mir die Chance bot, beide Sprachen zu erleben. Der Austausch war für mich die perfekte Gelegenheit, über das Klassenzimmer hinaus in eine neue Welt einzutauchen.
Was war deine grössten Highlights während des Austauschs?
Das grösste Highlight meines Austauschs waren die Freundschaften, die ich geschlossen habe, sowohl in der Schule als auch mit meiner Gastfamilie. Diese Beziehungen bestehen bis heute und bedeuten mir sehr viel.
Der Austausch war auch meine erste Reise nach Europa, und fast alles fühlte sich neu und aufregend an: die Architektur, das Essen, die Lebensweise. Schon der Alltag war spannend.
Meine Gastfamilie hat meinen Aufenthalt unvergesslich gemacht. Sie organisierten Tagesausflüge in verschiedene Städte – der erste ging nach Basel, wo ich mir damals nie gedacht hätte, später selbst mit meiner Familie dort zu wohnen. Wir fuhren zu einer Oper nach Verona, in den Sommerurlaub ins Tessin und mehrmals auf die Rigi, die ich bis heute gerne besuche. Auch meine Gastschwestern, die in verschiedenen Städten studierten, gaben mir spannende Einblicke in ihr Leben.
Doch es ging nicht nur um Ausflüge. Meine Gastfamilie zeigte mir die Schweiz in ihrer ganzen Tiefe: Sie erklärten Traditionen, nahmen mich mit in Museen und halfen mir, die Kultur zu verstehen und zu schätzen.
Diese Erlebnisse waren nicht nur schön, sondern prägend. Sie machten mich unabhängiger, gaben mir ein tiefes Verständnis von der Kultur und schufen eine lebenslange Verbindung zu einem Land, das für mich wie Heimat geworden ist.
Welche Herausforderungen musstest du meistern, und was hast du daraus gelernt?
Eine der ersten Hürden, die ich überwinden musste, war das Heimweh. Mit 16 so weit von zu Hause entfernt zu sein, war anfangs schwierig. Doch diese Erfahrung lehrte mich Resilienz und die Bedeutung, neue Beziehungen zu knüpfen. Diese Beziehungen—sowohl mit meiner Gastfamilie als auch in der Schule—halfen mir, ein Gefühl von Zugehörigkeit zu entwickeln, das den Übergang erleichterte.
Eine weitere Herausforderung war der Wechsel der Gastfamilie gleich zu Beginn. Doch meine zweite Gastfamilie hat perfekt gepasst, und die enge Bindung, die wir aufgebaut haben, besteht bis heute.
Auch das Verstehen des Unterrichts war anfangs schwer. Im Rückblick war der akademische Aspekt jedoch weniger entscheidend—viel wichtiger waren die Erfahrungen und das Lernen ausserhalb des Klassenzimmers.
Der Weg zurück ins Austauschland
Warum bist du später in das Land zurückgekehrt, in dem du deinen Austausch gemacht habt?
Bereits ein Jahr nach meinem Austausch kam ich zurück, um meine Gastfamilie und Freunde zu besuchen. Später, als ich studiert habe, habe ich einen zweiten Austausch gemacht, diesmal in Pau, Frankreich.
Nach der Zeit in Frankreich, kam ich erneut für einen Besuch in die Schweiz zurück. Eines Tages traf ich eine Freundin, die in Basel studierte. Bei einem Kaffee in der Universitätscafeteria sprachen wir beiläufig darüber, dass auch ich dort studieren könnte.Was als spontane Idee begann, wurde schnell zu einem konkreten Plan. Eigentlich hätte ich nur zwei Wochen später nach Neuseeland zurückfliegen sollen. Innerhalb von wenigen Tagen schaffte ich es, alle notwendigen Unterlagen für die Universität zu organisieren, ein Visum zu beantragen und ich bin hiergeblieben.
Später zog ich nach Spanien für das Masterstudium, danach habe ich Zeit in Guatemala verbracht, und war dann für einem Praktikum bei den Vereinten Nationen in Dänemark. Schliesslich führte mich mein Weg zurück in die Schweiz, wo ich meine berufliche Karriere begonnen habe.
Jeder Schritt auf diesem Weg wurde durch eine Kombination aus Neugier, Anpassungsfähigkeit und das Interesse für andere Kulturen vorangetrieben.
Wie hat dich der Austausch auf das Leben hiervorbereitet?
Das Austauschprogramm legte den Grundstein für mein Leben in der Schweiz. Es schenkte mir ein Netzwerk aus Freunden und Bekannten, die mich auch im Alltag unterstützt haben.
Auch sprachlich war es ein grosser Vorteil: Während des Austauschs baute ich Sprachkenntnisse auf und war nach meiner Rückkehr von dem Austauschjahr motiviert, mein Deutsch weiter zu verbessern. Diese Grundlage erleichterte mir die Integration, als ich später zurückkam, denn ohne C2 Deutschzertifikat hätte ich nicht hier studieren können.
Zudem bekam ich ein Verständnis für die Kultur, das Bildungssystem und den Alltag in der Schweiz. Zwar blieb noch viel zu lernen, doch diese Basis machte den Übergang deutlich einfacher und gab mir das Selbstvertrauen, neue Herausforderungen anzunehmen.
Welche Unterschiede fallen dir im Vergleich zu eurer Zeit als Austauschschülerin auf?
Die Unterschiede zwischen meinem Leben als Austauschschülerin und meinem jetzigen Leben sind gross und spiegeln sowohl meine persönliche Entwicklung als auch die Änderungen in der Schweiz, die Unterschiede zwischen Stadt und Land und die Unterschiede zwischen den Städten wider.
Als Austauschschülerin lebte ich in Aesch, LU, und besuchte die Kantonsschule in Badegg. Als ich später als Studentin zurückkehrte, wohnte ich in Luzern. Mein Alltag war stark geprägt von den Beziehungen und Gewohnheiten, die ich während meines Austauschs aufgebaut hatte. Mein Freundeskreis war eng mit denjenigen verbunden, die ich damals gewonnen hatte, und ich war tief in das Schweizer Leben integriert. Mein Studium und mein täglicher Austausch fanden auf Deutsch statt, und ich lebte auf ähnliche Weise, wie ich es während meiner ersten Zeit im Land erfahren hatte.
Heute, in Basel lebend, ist mein Leben stark international geprägt. Ich arbeite für globale Unternehmen, in denen Englisch die Arbeitssprache ist, und meine Kolleginnen und Kollegen stammen aus allen Ecken der Welt. Auch meine Familie spiegelt diesen weltumfassenden Geist wider. Mein Mann kommt aus Guatemala, sodass bei uns zu Hause sowohl Englisch als auch Spanisch gesprochen wird. Unsere Kinder besuchen eine internationale Kita, in der Englisch und Deutsch die Hauptsprachen sind. Manchmal habe ich das Gefühl, nicht mehr vollständig in der Schweiz zu leben – oder zumindest in einer Schweiz, die sich von der früheren stark unterscheidet.
Basel hat eine grosse Expat-Community, und seit 2007, meinem Austauschjahr, hat die Schweiz insgesamt eine stärkere internationale Ausrichtung erfahren.
Mein heutiges Leben ist in vielerlei Hinsicht eine harmonische Verbindung aus den tiefen kulturellen Wurzeln, die ich als Austauschschülerin gelegt habe, und der globalen Perspektive, die ich durch meine Karriere und meine Familie gewinnen konnte.
Die Bedeutung von Auslandserfahrungen heute
Was hat dir der Auslandsaufenthalt persönlich und beruflich gebracht?
Mein Austauschjahr war wirklich lebensverändernd. Es fühlt sich oft so an, als hätte es den Beginn meines Lebens markiert, wie ich es heute kenne. Persönlich war es eine transformative Erfahrung. Ich entwickelte ein starkes Gefühl von Unabhängigkeit und Resilienz, schloss lebenslange Freundschaften und tauchte in eine neue Sprache und Kultur ein. Diese Erfahrungen haben mir beigebracht, mich flexibel an verschiedene Umgebungen anzupassen und neue Perspektiven mit Offenheit zu empfangen.
Beruflich legte der Austausch die Grundlage für eine internationale Ausbildung und Karriere. Meine Fähigkeit, mit Menschen aus verschiedenen Hintergründen in Kontakt zu treten und mich in unterschiedlichen kulturellen Kontexten zurechtzufinden, war entscheidend für meine Arbeit in globalen Unternehmen.
Ohne diese Austauscherfahrung bin ich sicher, dass mein Leben, sowohl persönlich als auch beruflich, einen ganz anderen Weg eingeschlagen hätte. Es war mehr als nur ein Jahr im Ausland; es war der Ausgangspunkt für eine Reise des persönlichen Wachstums, globaler Verbindungen und Chancen, die ich mir sonst nie hätte vorstellen können.
Warum ist es deiner Meinung nach gerade heute wichtig, im Ausland zu leben und nicht nur virtuell zu reisen?
In einem anderen Land zu leben, bietet ein unvergleichliches Mass an Immersion, das in der virtuellen Welt einfach nicht reproduziert werden kann. Während uns die Technologie ermöglicht, uns global zu vernetzen und Kulturen aus der Ferne zu erkunden, ist man dennoch digital nicht wirklich dort.
Es gibt unzählige Aspekte des Lebens, die man virtuell nicht erleben kann: der Geruch eines lebhaften lokalen Marktes, die Energie einer Feier oder neue Bräuche zu erleben. Diese sinnlichen und emotionalen Erfahrungen prägen uns auf eine Weise, die eine virtuelle Interaktion niemals könnte.
Noch wichtiger ist, dass das Leben im Ausland unsere Perspektiven herausfordert und Empathie fördert. Es zwingt uns, uns mit Unterschieden auseinanderzusetzen, uns anzupassen und auf eine Weise zu wachsen, die nicht nur persönlich, sondern auch beruflich in unserer zunehmend vernetzten Welt transformative Auswirkungen hat.
In einer Zeit, in der virtuelle Erfahrungen zugänglicher sind als je zuvor, sind die Tiefe und Authentizität des Lebens im Ausland umso bedeutender. Es geht nicht nur darum, einen neuen Ort zu sehen—es geht darum, ihn wirklich zu verstehen und sich von ihm verändern zu lassen.
Welchen Rat würdest du jungen Menschen geben, die über einen Austausch nachdenken?
Wählt einen Ort mit einer Sprache oder Kultur, die ihr sonst vielleicht nie erleben würdet.
Die Schönheit eines Austauschs liegt darin, sich über die vertraute Umgebung hinauszuwagen und völlig neue Lebensweisen zu entdecken. Ihr werdet nicht nur eine neue Kultur kennenlernen, sondern auch ein tieferes Verständnis für euch selbst gewinnen.
Denkt daran, dass ein Austausch nicht nur um den Zielort geht—es geht um die Menschen, die ihr kennenlernen werdet, die Beziehungen, die ihr knüpft, und die Perspektiven, die ihr gewinnt. Diese Beziehungen und Erfahrungen werden euch ein Leben lang begleiten.
Also, seid mutig bei eurer Wahl. Geht an einen unerwarteten Ort. Es ist der beste Weg, das Beste aus dieser unglaublichen Gelegenheit zu machen.
Dawson Grubbs
Rückblick auf die Austauschzeit
Was hat dich dazu bewogen, damals an einem Austauschprogramm teilzunehmen?
Ich war einige Jahre lang bei AFS in den USA aktiv. In der High School in Maryland war ich ein Late-Bloomer-Mathe-Nerd und dachte, ich könnte ein Jahr nutzen, um erwachsen zu werden, bevor ich aufs College gehe.
Was waren deine grössten Highlights während des Austauschs?
Es war vom ersten Tag an sehr intensiv. Alles schien anders zu sein, von den Gebäuden über die Kleidung bis hin zu den Gesichtsausdrücken. Die Geräusche und Gerüche und die Art und Weise, wie sich die Aufzugstüren schlossen und diese Mofas, die ewig brauchen um zu Starten und sehr langsam fahren.
Welche Herausforderungen musstest du meistern, und was hast du daraus gelernt?
Kommunikation war eine absolute Herausforderung, nicht nur, weil meine Sprachkenntnisse schrecklich waren. Ich wusste nicht, was ich sagen oder wie ich mich verhalten sollte.
Der Weg zurück ins Austauschland
Warum bist du später in das Land zurückgekehrt, in dem du deinen Austausch gemacht hast?
Die Liebe. Es war vier Jahre später. Ich war in eine Frau aus meinem Austauschjahr verliebt.
Wie hat dich der Austausch auf das Leben hier vorbereitet?
Jede Familie und jede Kultur folgt ihren eigenen Richtlinien und unausgesprochenen Regeln. In der Kultur, in der ich aufgewachsen bin, wurden negative Emotionen weder im Positiven noch im Negativen ausgedrückt. Die Schweiz und meine neue Familie hingegen waren offen und direkter. Durch meinen Austausch wurde mir dieser Unterschied bewusst. Zudem war ich bereit, mit einem frischen und offenen Blick auf die Welt zu schauen – frei von den Vorurteilen, die ich in meiner eigenen Kultur möglicherweise gehabt haben könnte. Diese Offenheit hilft mir sowohl im gesellschaftlichen als auch im privaten Leben.
Welche Unterschiede fallen dir im Vergleich zu deiner Zeit als Austauschschüler auf?
Als ich das zweite Mal zurückkehrte, war es in die Grossstadt Zürich. Hier war ich ein richtiger Expat, der sich zufällig etwas in die Gesellschaft integriert hat. Deutsch war eine Herausforderung, vor allem, weil ich den ganzen Tag Englisch sprach. Mittlerweile ist mein Deutsch aber viel besser.
Die Bedeutung von Auslandserfahrungen heute
Was hat dir der Auslandsaufenthalt persönlich und beruflich gebracht?
Über den Tellerrand hinausschauen, oder vielleicht in einen anderen Teller hinein. Und ausserdem: Mit Menschen in Beziehung zu treten und sich in sie hineinfühlen, egal ob es sich um einen Nachbarn oder einen Geschäftspartner aus der Ferne oder um einen lebenslangen Partner handelt. Dabei hat mir die Erfahrung, in einer anderen Kultur zu leben geholfen. Und das Leben mit einer anderen Familie und einer anderen Kultur in jungen Jahren hat mich darauf vorbereitet, 2 1/2 Jahre lang mit meiner 5-köpfigen ukrainischen Familie zu leben und zu gedeihen.
Warum ist es deiner Meinung nach gerade heute wichtig, im Ausland zu leben und nicht nur virtuell zu reisen?
Als ich anfing, bei Swiss Re zu arbeiten, gab es einen Einführungskurs, in dem jeder andere Teilnehmer erklärte, dass es sein Traum sei, eines Tages in den USA zu leben. Ich lebe in meinem Paradies und wache jeden Tag auf und freue mich darauf, hier zu sein. Gleichzeitig bin ich herausgefordert, meine C02-Auswirkungen auf diese Erde durch Reisen zu reduzieren, die bisher viel zu gross waren. Ich hoffe, dass ein längeres Leben im Ausland, anstatt nur in andere Länder zu reisen, die Vorteile von Offenheit und Bewusstsein schaffen und gleichzeitig die Klimaauswirkungen begrenzen kann.
Welchen Rat würdest du jungen Menschen geben, die über einen Austausch nachdenken?
Die Welt aus alternativen Perspektiven zu verstehen, erweitert das Bewusstsein. Was gibt es mehr in diesem Leben?